Wann ist eine Münze eine Fehlprägung und wann nicht?
Experteninterview mit dem Münzexperten Dr. Hubert Ruß
IHK-Sachverständiger für Münzen und Medaillen des Mittelalters und der Neuzeit
Auf Onlineplattformen werden immer wieder Euro-Münzen zu astronomischen Preisen angeboten – angeblich aufgrund seltener Fehlprägungen. Doch wie oft handelt es sich dabei tatsächlich um wertvolle Sammlerstücke? Viele Menschen glauben, eine außergewöhnliche Münze gefunden zu haben, nur um dann festzustellen, dass es sich um eine reguläre Prägung oder eine minimale Abweichung ohne echten Sammlerwert handelt. In unserem Interview klären wir mit dem Münzexperten Dr. Russ, woran man echte Fehlprägungen erkennt, welche Fehler tatsächlich einen höheren Wert haben und warum das Internet eine entscheidende Rolle in der Verbreitung von Falschinformationen spielt. Außerdem erhalten Münzsammler wertvolle Tipps, worauf sie achten sollten, um nicht auf unseriöse Angebote hereinzufallen.
Auf Onlineplattformen werden häufig Euro-Münzen zu hohen Preisen angeboten, angeblich aufgrund von Fehlprägungen. Was ist dran an diesen Angeboten?
Dr. Ruß: Tatsächlich werden gängige Euro-Münzen mit der Behauptung, sie seien Fehlprägungen, zu sechsstelligen Summen angeboten. Oftmals fehlen aber in den Inseraten klare Hinweise darauf, warum es sich um eine Fehlprägung handeln soll. Das führt zu Unsicherheit bei vielen Menschen, die glauben, eine wertvolle Münze gefunden zu haben.
Wie häufig erhalten Sie Anfragen zu diesem Thema?
Dr. Ruß: Sehr häufig. Viele Menschen wenden sich an uns mit der Frage, ob sie eine wertvolle Fehlprägung besitzen. Eine typische Anfrage lautet: “Ich habe eine 2 €-Fehlprägung. Was ist sie wert?” Wenn wir dann nachfragen, auf welche Merkmale sich die Annahme stützt, stellt sich oft heraus, dass die Informationen aus dem Internet stammen, jedoch keine konkreten Belege für eine echte Fehlprägung vorliegen.
Welche Rolle spielt das Internet in der Verbreitung dieser Annahmen?
Dr. Ruß: Eine sehr große. Viele vermeintliche Fehlprägungen werden auf Onlineplattformen zu hohen Preisen angeboten, oft ohne Erklärung oder Nachweis. Ein Beispiel ist die 2-Euro-Münze aus Griechenland von 2002. Sie zeigt auf der Vorderseite die Entführung der Europa durch Zeus. Ein Teil dieser Münzen wurde in Finnland hergestellt und trägt daher ein “S” für Suomi. Obwohl diese Variante eine reguläre Prägung mit einer Auflage von 70 Millionen Stück ist, wird sie oft als seltene Fehlprägung ausgegeben.
Griechenland, 2 Euro 2002, mit Münzzeichen S zwischen der Jahreszahl
Wie wird in der Numismatik eine echte Fehlprägung definiert, woran erkennt man sie?
Dr. Ruß: Wie wird in der Numismatik eine echte Fehlprägung definiert, woran erkennt man sie? Laut Lexikon der Numismatik bezeichnet man als Fehlprägung eine durch menschliches Versagen ungewollt entstandene, fehlerhafte Münze. Davon zu unterscheiden sind auf technischen Ursachen beruhende Fehler, die bereits vor der Prägung vorhanden waren oder den durch die Prägung eingetretenen Fehler wesentlich begünstigt haben.[1] Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Schrötlingsfehler, Stempelfehler und Prägefehler. Um es gleich vorwegzunehmen, nicht jede Warze und jede kleine Abweichung von der Norm ist automatisch sofort eine Fehlprägung.
Können Sie uns Beispiele für Fehlprägungen durch menschliches Versagen geben?
Dr. Russ: Abweichungen von der Norm sind seit dem Beginn der Münzprägung im 7. Jahrhundert v.Chr. belegt. Bei jeder Prägung sind Toleranzen üblich und auch festgelegt, vor allem je weniger fortgeschritten die Prägetechnik war.
Bereits vor dem Prägevorgang kann ein Stempelfehler eine Fehlprägung verursachen.
Bis in das 19. Jahrhundert hinein unterliefen den Stempelschneidern Fehler bei der Herstellung der Prägestempel, die seitenverkehrt in das Eisen zu schneiden waren. Die Folge waren Buchstabendreher oder spiegelverkehrte Buchstaben und Ziffern oder fehlerhafte Wappen auf den ausgeprägten Münzen.
Sachsen-Weimar-Eisenach, 1/48 Taler 1821, mit spiegelverkehrter Jahreszahl.
Auch bei der Aufbringung der Randschrift sind Fehler wie z.B. die Verwendung eines falschen Rändelwerkzeugs belegt. Das trifft z. B. auf die deutsche Kursmünze zu 5 DM 1957 J (J. 387 F) zu, für die bei einigen Stücken versehentlich das Rändeleisen mit der Umschrift für die Gedenkprägung zu 5 DM 1957 J mit dem Motiv Freiherr von Eichendorff verwendet wurde. Die Umschrift lautet dann GRÜSS DICH DEUTSCHLAND AUS HERZENSGRUND anstelle von EINIGKEIT UND RECHT UND FREIHEIT.
Ein menschlicher Fehler liegt auch bei dem deutschen 50-Pfennig-Stück vor, das in Karlsruhe im Jahr 1950 mit der Rückseitenumschrift BANK DEUTSCHER LÄNDER geprägt wurde und in Umlauf kam. Es handelt sich hier um eine Fehlprägung, da für die Wertseite ein falscher Stempel Verwendung fand. Ordnungsgemäß wurden mehr als 300 Millionen 50-Pfennigstücke mit der Umschrift BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND und der Jahreszahl 1950 ausgegeben. Etwa 30.000 Münzen wurden in der Münzstätte Karlsruhe (Münzzeichen „G“) mit der falschen Umschrift BANK DEUTSCHER LÄNDER geprägt.
BRD, 50 Pfennig 1950 G, mit der Umschrift BANK DEUTSCHER LÄNDER
Als weiteres Beispiel menschlichen Versagen wäre das 1000 Lire-Stück des Jahrgangs 1997 aus Italien anzuführen. Bei dieser Prägung wurde eine veraltete Kartendarstellung Europas verwendet. Im Münzbild wurde die Bundesrepublik in den Grenzen vor der Wiedervereinigung dargestellt (vgl. Abb. 4). Nach Bemerken des Fehlers wurde die Münze dann mit korrigierter Landkarte weiter ausgegeben. Von der Fehlprägung war jedoch schon ein Teil in den Umlauf gelangt. Obwohl es sich um eine Fehlprägung handelt, ist diese nicht selten und wird bereits ab 1,50 € angeboten.
Abb. 4: Italien, 1000 Lire 1997, mit falscher Grenzdarstellung auf der Landkarte
Ein weiteres Beispiel kommt aus Monaco. 2007 wurden in Paris neue 1 Euro-Münzen für Monaco geprägt. Diese Münzen trugen weder ein Münzmeisterzeichen noch das Münzstättenzeichen der Prägestätte Pessac in Frankreich. Die Genehmigung der EZB war aber nur für eine Auflage von 100.000 Exemplaren mit beiden Münzzeichen erfolgt. Den Fehler bemerkte man erst, als die Münzen bereits an Monaco ausgeliefert waren. Die gesamte Lieferung wurde zurückgerufen, die Münzen wurden neu geprägt. Für 2.991 Exemplare kam der Rückruf zu spät. Die waren bereits ausgegeben und erfreuen sich seitdem großer Beliebtheit unter Sammlern.
Monaco, Albert, 1 Euro 2007, ohne Angabe der Münzstätte und des Graveurs
Von einer Fehlprägung abzugrenzen sind nachträglich eingetretene Fehler, die sogenannten prägebedingten Fehler. Können Sie uns darüber auch noch etwas erzählen?
Dr. Ruß: Fehlerhafte Prägungen im Rahmen der Massenfertigung sind relativ häufig im Umlauf zu finden. Eine moderne Prägemaschine fertigt in einer Minute 20.000 Münzen an. Bei diesen Stückzahlen können nicht ordnungsgemäße Stücke bisweilen bei der Qualitätskontrolle ungewollt durchschlüpfen und im Umlauf kommen. Eine Variante eines prägebedingten Fehlers ist die sogenannte Spiegeleiprägung, wie wie sie naturgemäß nur bei Bi-Metall-Münzen wie z.B. den 1- und 2-Euro Münzen bekannt ist. Hierzu ist anzumerken, dass man zwei Vorgehensweisen bei der Herstellung von Bi-Metall-Münzen nutzt: In einigen Ländern werden die Pille und der äußere Ring vor dem Prägenvorgang zusammengefügt, dann erfolgt die Prägung. In anderen Ländern (z. B. in Deutschland) werden Ring und Pille beim Prägevorgang durch das Prägen selber zusammengefügt. Wenn nun die Pille nicht genau mittig über dem Ring platziert wurde, wird ein Teil des Materials der Pille in den Ring gedrückt, es entsteht eine Prägung, die an ein Spiegelei erinnert (vgl. Abb. 11).
BRD, 2 Euro 2002, sog. Spiegelei-Prägung
Ein direkt durch den Prägevorgang entstandener Prägefehler der Münze ist der Schrötlingsriss oder der Randausbruch, insbesondere bei nicht durch Ringprägung hergestellten Münzen. Ein Schrötlingsriss entsteht durch zu hohen Prägedruck auf einen Schrötling, weist dieser inhomogene Bereiche auf, reißt der Rohling ein. Antike und neuzeitlichen Münzen bis ins 19. Jahrhundert weisen häufig Schrötlingsrisse auf, so häufig, dass sie nicht als wertsteigernd, sondern als wertmindernd betrachtet werden und zwar umso stärker, je mehr sie das Gesamtbild der Münze beeinträchtigen (vgl. Abb. 12).
Meißen, Markgrafschaft. Otto der Reiche, 1156-1190. Brakteat, mit Schrötlingseinriss oben und Schrötlingsriss unten
Kleinere prägebedingte Fehler finden sich in der früher handwerklichen Münzprägung häufig. So konnte durch den versehentlich vorgenommenen sogenannten Doppelschlag die Prägung zweimal unterschiedlich stark und leicht versetzt erfolgen.
Österreich, 1 Euro, mit Doppelschlag
Auch durch verschmutzte Prägestempel können Fehler im Prägebild entstehen. Liegt ein Stempelbruch im Prägestock vor, so ist das auf der Münze als erhabene Linie gut erkennbar.
Kaiserreich, 5 Pfennig 1915 A, Stempelbruch auf der Rückseite
Ein in der modernen Münzprägung verwendetes Stempelpaar hält im Durchschnitt etwa 300.000 bis 400.000 Prägevorgänge. Je nach Härte des zu prägenden Materials kann es deutliche Abweichungen von den genannten Zahlen geben. Zwischendurch werden die Stempel ausgetauscht, aufgearbeitet und wieder verwendet. Zum Ende eine Prägezyklus kommt es immer wieder vor, dass alleine aufgrund von Abnutzung Feinheiten nicht mehr korrekt ausgeprägt werden. Man spricht in diesem Fall von Prägeschwäche.
Stempelfehler, Materialrisse, Warzen und Punkte auf der Münzoberfläche infolge verstopfter Stempel gibt es seit Beginn der Münzprägung. In Zeiten der Automatisierung der Münzprägung fallen sie bei Kontrollen nicht mehr auf. Früher wurden die geprägten Münzen vom Münzmeister und Wardein geprüft. Prägefehler wie Zainende oder Materialausbrüche infolge einer Inhomogenität des Schrötlings wurden damals nicht beanstandet, geprüft wurde, ob die Münze das vorgegebene Raugewicht sowie den korrekten Feingehalt aufwies. Es handelt sich bei modernen Euro-Münzen mit derartigen Fehlern eher um Ausschuss, der in der Münzstätte nicht entdeckt wurde und diese eigentlich nicht hätte verlassen dürfen.
Um einschätzen zu können, ob es sich bei einer Münze um eine wertvolle Fehlprägung handelt bedarf es einer gewissen Expertise. Warum glauben dennoch viele Menschen, dass sie eine wertvolle Fehlprägung besitzen?
Dr. Ruß: Dies liegt an Falschinformationen, die oft unkritisch übernommen und verbreitet werden. Manche Medien greifen solche Themen auf und titeln reisserisch: “Wenn Sie diese Münze besitzen, sind Sie X Euro reicher!” Dadurch entsteht der Eindruck, dass es sich um eine seltene Fehlprägung handelt, obwohl dies nicht der Fall ist.
Was raten Sie Sammlern und Interessierten?
Dr. Ruß: Lassen Sie sich nicht von unseriösen Onlineangeboten täuschen. Wenn Sie glauben, eine Fehlprägung zu besitzen, lassen Sie sie von einem Experten oder einer Münzprüfstelle begutachten. Verlassen Sie sich nicht auf überhöhte Preise in Onlineauktionen, sondern informieren Sie sich in Münzkatalogen oder bei Fachhändlern. Nur so kann man den echten Wert einer Münze feststellen.
Über den Experten
Dr. Hubert Russ
Dr. Hubert Ruß wurde im Jahr 2000 von der IHK für München und Oberbayern als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Münzen und Medaillen des Mittelalters und der Neuzeit ernannt. Sein Tätigkeitsbereich umfasst die Beratung, wissenschaftliche Bestimmung sowie marktgerechte Bewertung von Münzen und Sammlungen. Zudem erstellt er Gutachten für private und gerichtliche Zwecke und bietet sachkundige Unterstützung bei der Veräußerung oder Verwertung von Sammlungen und hochwertigen Einzelstücken.
